Das Gespenst des Kommunismus geistert noch immer durch bundesdeutsche Hirne.
Als Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat der SPD, im sonntäglichen TV-Duell gefragt wurde, ob er sich eine Koalition mit Grünen und Linken vorstellen könne, wiegelte er ab. Das kennt man.
Spannender war seine Begründung. Er sagte, die Linke, das seien drei Parteien in einer. Da wären zum einen westdeutsche Altkommunisten, quasi der altbundesrepublikanische Flügel der PDS. Dann hätte es da die vom Glauben abgefallenen Erzfeinde von der vormaligen WASG, jener früheren SPDler, welche sich nach der Agenda 2010 von der großen Mutter abspalteten. Und dann gibt es da noch die Linke im Osten, die pragmatisch und lösungsorientiert vor Ort durchaus zu Koalitionen taugt, regierungsfähig ist.
Nun muss man die Goldwaage hervorkramen: Steinbrück sagte, derzeit tauge die Linke nicht für eine rot-rot-grüne Koalition. Derzeit. Der kategorische Ausschluss noch vor der vergangenen Wahl, noch vor einigen Landtagswahlen - man denke nur an das Debakel in NRW, welches mehr an die Kommunistenhatz der McCarthy-Ära erinnerte als an Koalitionsverhandlungen und Sachpolitik - fand nicht statt. Derzeit. In drei Wochen wird gewählt. Es wird knapp. Die Koalitionsverhandlungen werden spannend. Derzeit kann dann bereits Vergangenheit sein.
Die Linke hat nicht mehr viel von der PDS
Man muss der Linken attestieren, Riexinger und Katja Kipping (die ich nicht leiden kann, weil sie eine unheimlich belastende Fiepsstimme hat) halten den Laden gut zusammen. Pragmatisch, unideologisch - die Partei gibt endlich Frieden. Konflikte werden im Stillen ausgetragen. Die Linke 2013 scheint in der bundesdeutschen Politik angekommen. Sie stieß zudem in die Lücke der sozialen Gerechtigkeit vor, die Schröders Agenda-Politik öffnete.
Für viele Menschen in Ostdeutschland, besonders in der Elterngeneration ist die Linke, die Linkspartei-WASG, die PDS noch immer SED-Nachfolgepartei und damit unwählbar. Aber, und hier hat Steinbrück recht, die Linke in Ostdeutschland 2013 ist nicht mehr die PDS von 1990.
Die Linke nimmt im Osten die Stelle ein, die im Westen von den Grünen besetzt werden. Anti-Nazi-Demos, Jugendzentren, Kulturpolitik, sozialer Ausgleich. Im Osten ist sie in einem linksalternativen und studentischen Spektrum gut beleumundet. Das hat wenig mit Ideologie, mehr mit politischer Arbeit vor Ort zu tun. Die Linke hier vor Ort bringt sich ein, koaliert, arbeitet mit, trägt auch unangenehme Entscheidungen. Diese Sacharbeit, dieser pragmatische Ansatz trägt Früchte in Form von Wählerstimmen.
Dazu muss man sehen, die Menschen, die heute im Osten das Gesicht der Linken bestimmen, sind nicht mehr die Alt-Kommunisten um Gregor Gysi. Es sind Leute wie Katja Kipping, die ihre Sozialisierung in Jugendzentren und auf Demonstrationen gegen den Irakkrieg erfahren haben. Sie stammen aus dem gleichen Milieu, aus welchem sich im Westen Deutschlands einst die Grünen rekrutiert haben. Nur hatten es letztgenannte im Osten stets schwer, Fuß zu fassen, besonders in der Fläche.
Im Jahr 2013 scheint die (Ost-)Linke in der Realpolitik angekommen zu sein. Noch wird sich etwas gewehrt, aber über kurz oder lang wird es im progressiven Lager zu einer Konbsolidierung kommen - in Form von rot-rot-grünen Koalitionsregierungen.
Aufgefasert, statt an einem Strang zu ziehenKleines Rechenbeispiel. Der CDU-Abgeordnete meines Wahlkreises, Thomas Feist, zog mit einem Direktmandat in den Bundestag ein. Er konnte 28,8 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen, bei einer Wahlbeteiligung von 67,9 Prozent. Das heißt, nur 19,56 Prozent der Wahlberechtigten im Wahlkreis Leipzig II sprachen ihm das Vertrauen aus. Das ist nichtmal ein Fünftel. Die Kandidaten Mike Nagler (Linke, 25,3 Prozent), Monika Lazaar (Grüne, 12,2 Prozent) und Wolfgang Tiefensee (SPD, 23 Prozent) kommen auf 60,5 Prozent der abgegebenen Stimmen, absolut 41 Prozent.
Abgeordnetenwatch hat alle Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 einen Fragebogen beantworten lassen. Mit kleineren Abweichungen kann man sagen, Thomas Feist vertritt diametral entgegengesetzte Positionen im Vergleich mit den Bewerbern von Linken, Grünen und SPD, selbst die FDP ist näher an den Standpunkten der letztgenannten dran.
Mein Wahlkreis wird also von jemandem vertreten, der die Positionen von keinem Fünftel meines Umfeldes vertritt. Bei inhaltlicher Übereistimmung und einer Aggregation des Wählerwillens von knapp zwei Dritteln der Stimmberechtigten bleiben eben deren Stimmen nicht gehört, weil die Parteien des nominell linken Spektrums zu zersplittert sind.
(Und ja, ich weiß, es geht hier um Direktmandate und da gibt es keine Koalitionen, der Widerspruch 20 Prozent Feist mit seinen neokonservativen Ansätzen und SPD-Grüne-Linke-(vielleicht sogar FDP) war einfach zu frappierend.)
Wenn es in Deutschland also eine Mehrheit neben dem bürgerlichen Lager aus Union und FDP geben soll, dann kann sich keine der Parteien leisten, auf einen potenziellen Koalitionspartner zu verzichten. Die Linke hat ihr Schmuddelimage abgelegt wie einst die Grünen. Peer Steinbrück hat es womöglich verstanden.