Thursday, November 26, 2009

Unter Juristen

Der Versuch auf der Bundesfachschaftentagung Jura nicht aufzufallen


„Sie sind aus Passau?“ fragt mich ein älterer Herr mit weissen Haaren und gutmütigem Gesicht. „Raten Sie nochmal!“ entgegne ich Uni-Rektor Franz Häuser. Drei Studentinnen aus Erlangen, mit denen ich mich zuvor unterhalten habe, rufen unisono: „Das ist ein Spion! Der berichtet über uns.“ „Sie sind also ein IM.“ richtet Rektor Häuser das Wort an mich. Meine Tarnung ist aufgeflogen.

Rektor Häuser ein weiterer Referent, die drei Studentinnen und ich, niemand sonst befindet sich Freitag Nachmittag im Hörsaal Acht des neuen Campusbaus. Am Ende sollten sich geschätzte 50 Vertreter ihrer jweiligen Hochschulen einfinden. Der Fachschaftsrat der Juristen an der Universität Leipzig hatte zur Bundesfachschaftentagung geladen. Dieses Wortungetüm lässt unschwer erkennen: hier sind wahre Juristen am Werk. Jura-Studium und Gremientätigkeit. Unweigerlich muss ich an hochgeklappte Hemdkragen denken. Was sind das für Leute, welcher Menschenschlag studiert Rechtswissenschaft, und wer sitzt in den Fachschaften?
Ich beschloss, mir das Geschehen aus der Nähe anzusehen. Mit gebügeltem Hemdkragen und gescheiteltem Haar mische ich mich unter die Vertreter deutscher Jurastudenten. Man riet mir, öfter die Worte „Kommt ganz darauf an, ...“ einfließen zu lassen. Um nicht aufzufallen.
„Ich habe es versucht“, sagt eine Studentin aus Halle. „Aber eine Woche ohne Kaffee ist total langweilig.“ Der Fachschaftsrat Leipzig hat eine Industrie-Kaffeemaschine besorgt. Als man verkündet, man werde gleich Kaffee aufsetzen, geht unverhohlene Freude durch die Menge. Die Augen beginnen zu leuchten.
Die Anwesenden lassen sich rein äußerlich in zwei Gruppen einteilen: „Papi fährt ´nen Benz, deswegen studiere ich Jura und trage Hemd mit Kaschmir-Pulli.“ und klassische Studenten, mit Haaren in Obdachlosenoptik und ebensolchen Hosen.
Neben mir sitzt eine Delegation aus Dresden, die einzigen, die Jura schon im Bachelor-/Mastersystem studieren. Nachdem wir festgestellt haben, dass ich aus Dresden komme, aber in Leipzig studiere – es muss ja niemand wissen, dass es nicht Jura ist – entspinnt sich ein langes Gespräch. Mein Nachbar ist äußerst sendungsbewusst und macht der Außendarstellung seiner Fachschaft alle Ehre. Binnen fünf Minuten habe ich zwei Links und bin grundlegend über die Vor- und Nachteile eines dreijährigen Bachelor-Studiums der Rechtswissenschaften im Bilde. Meine bügelfalten-freie Tarnung erfüllt ihren Zweck. Ich bin integriert, und der FaRa Dresden möchte mich zu einem Kaffee einladen. Ich lehne dankend ab.

Geschlossen für das Staatsexamen

Auf der Tagesordnung des Zusammentreffens der Juristenfachschaften stand die Umstellung des Jura-Studiums auf die Bachelor- und Masterstudiengänge des Bologna-Systems. Es ist erstaunlich. Letztlich sind es nur ein paar Studenten auf Klassenfahrt, und dennoch ist die Referentenliste ausgezeichnet. Neben dem Rektor der Uni Leipzig, jenem Prof. Dr. Häuser, sind dies der Prodekan der Leipziger Juristenfakultät, Prof. Dr. Schneider und der Vorsitzende des Deutschen Juristefakultäten-Tages, Prof. Dr. Radke. Sogar das Justitzministerium hat eine Vertreterin entsandt: Ministerialrätin Sabine Hilgendorf-Schmidt verliest ein Grußwort der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Das Auditorium hält es kaum noch auf den Sitzen. Hölzerner als die harte Hörsaalbank ist nur die Vortragsweise der Ministerialrätin. An den übrigen Referenten kann man erkennen: hat man erst einmal das zweite Staatsexamen in der Tasche, endet man zwangsläufig in Maßanzug und Seidenkrawatte, auch wenn die Schatten unter den Augen größer werden. Die Redner sind sich einig, das Examensstudium der Juristen soll bewahrt werden. Es gäbe gar keine Nachfrage am Stellenmarkt für Juristen mit dreijähriger Bachelor-Ausbildung, so die Bundesjustizministerin. Wohin also mit diesen Absolventen? Wie kann man die Qualität in Ausbildung und Lehre verbessern? Was wird aus den regulierten juristischen Berufen (Richter, Anwalt, jeder mit zwei Staatsexamen)? Das sind die Fragen, welche die angehenden Juristen während der kommenden zwei Tage in Workshops klären wollen.
Nach der Stadtführung durch Leipzig stürze ich mich in die Orga-Zentrale. Der Leipziger Fachschaftsrat hebt sich wohltuend vom Klischee der Juristen ab. Man könnte es genausogut mit Mathematik- oder Informatikstudenten zu tun haben. Wie auf einer Klassenfahrt verteilt man Essensmarken an die Fachschaften der übrigen Universitäten. Eine Mahlzeit, ein Getränk. „Auch Kaffee?“ lautet die Frage. „Wir haben gerade welchen aufgesetzt.“ Noch am Freitagabend finden die ersten Workshops statt.

„Und, warum studierst du Jura?“

Nach wenigen Stunden Schlaf in einer Jugendherberge beginnt der Samstag schon um 9.30 Uhr mit den ersten Arbeitstreffen. Es werden verschiedene Modelle der Juristenausbildung und deren Zukunft diskutiert, sowie die Arbeit und die Einflussmöglichkeiten der Fachschaften. Der Kaffee fließt in Strömen. Nach einer abendlichen Präsentation der Ergebnisse vor der versammelten Bundesfachschaftentagung Jura bricht die „BuFaTaJura“ auf zur Moritzbastei – als Teilnehmer kommt man umsonst auf die Party.
Es wäre einfacher den Juristen zu folgen, wenn sie alle den gängigen Klischees entsprächen. Doch keiner von ihnen klappt den Hemdkragen hoch oder hängt sich einen Pullover über die Schultern. Unter all den anderen Menschen in der Moritzbastei stechen sie nicht hervor. Ein Jurist mit einem Bier in der Hand ist durch nichts von einem Studenten zu unterscheiden.
„Warum sitzt du im Fachschaftsrat?“ möchte ich von einer Jenaer Studentin wissen. „Einer muss es ja machen, ...“ sagt sie, während ich in meinem Kaffee rühre. „Und Gremientätigkeit macht sich gut im Lebenslauf.“ wirft sie noch hinterher. Später werden mir zwei angehende Juristen erzählen, dass sie den Fachschaftsrat jeder Burschenschaft vorziehen würden. „Die trinken zwar mehr, wir dafür aber öfter.“ Mich interessieren die Gründe, ein Jurastudium zu ergreifen. Die Studentin aus Jena meint, die meisten würden wohl Juristen, weil es ihre Eltern schon seien, oder weil es für Medizin doch nicht reicht. Sie persönlich möchte den Menschen aber gern helfen. Ein Göttinger Student gibt unumwunden zu, dass ihn vor allem die Verdienstaussichten und das Prestige reizen. Wo denn die anderen Passauer seien, möchte er noch von mir wissen. Ich verabschiede mich, und überlasse die Feiernden ihrem Schicksal. Der nächste Morgen soll mir Recht geben.

Frühstück unter Juristen

Nur eine große amerikanische Kaffee-Kette hat um diese frühe Zeit schon geöffnet. Ich bin auf dem Weg zum Juristenfrühstück und weiß: ohne Kaffee nimmt man mich nicht wahr. „Du bist aus Passau?“ frage ich einen jungen Mann mit Brille und weißem Hemd der am Ende des Tisches sitzt. „Ich bin von einem der Sponsoren, und wollte mir das mal anschauen.“ Mein „Du“ ist mir plötzlich peinlich. Er arbeitet für einen großen deutschen Finanzdienstleister. Auch Jörg Lautenschläger hat Jura studiert, und sein zweites Staatsexamen bestanden. Ich frage ihn, was er vom neuen 3-jährigen Studium hält. „Ich sehe nicht, wo diese Leute später unterkommen sollen.“ und, dass sei seine eigene Meinung fügt er hinzu: „In drei Jahren kann man sich gar nicht spezialisieren, herausfinden in welchem Bereich man arbeiten will.“ Er plädiert dafür, das bestehende Examensstudium zu verkürzen, um im Gegenzug die Zeit für Referendariate auszudehnen. Ob denn sein Unternehmen Trainee-Programme für Bachelor-Studenten anbieten würde, darauf bleibt er mir die Antwort schuldig.
Einige der Hemden kenne ich noch vom Freitag. Sie sehen nicht so aus, als hätte man sie in der Zwischenzeit abgelegt. Auch die Gesichter ihrer Träger sprechen Bände. Das Arbeitspensum der vergangenen 48 Stunden als auch die Nacht in der Moritzbastei haben deutliche Spuren hinterlassen. Man trinkt Kaffee aus Kunststoffbechern, die aussehen, als hätte man sie aus einer Zaharztpraxis entwendet.

Bachelor müssen leider draußen bleiben

Pünktlich 35 Minuten zu spät beginnt das Abschlussplenum. „Frankfurt hat es heut nicht hergeschafft.“ vermeldet der Mann am Rednerpult. „Der ist noch schön zu.“ murmelt es hinter mir. Das Auditorium schreitet zur Abstimmung über die Ergebnisse des Wochenendes. „Wir lehnen das Bachelor-/ Mastersystem ab.“ lautet der Tenor. Der Fachschaftsrat der Universität Dresden, die einzigen, die bereits im Bachelorstudium sind, verlässt daraufhin den Saal. Für sie gibt es nichts mehr zu diskutieren. „Die Qualität und Vergleichbarkeit der Ausbildung soll verbessert werden.“ Nur einmal brandet eine Diskussion auf, ein Doppelpunkt wird in ein Semikolon umgeändert. Ein Kopf mit schlaftrunkenen Augen schnellt von der Bank empor: „So, jetzt reichts!“ Schon liegt er wieder.

Der Fotograf ist da. Ich brauche einen neuen Kaffee. Juristenkaffee - seine Konsistenz ist schnittfest, der erste Schluck reißt mir geradezu die Augen auf. „Und das haben die das ganze Wochenende getrunken?!“ frage ich mich.
Zum Abschluss tritt eine ältere Dame mit blonden Haaren und freundlichem Gesicht ans Rednerpult. Es ist Generalbundesanwältin Monika Harms. „Recht sichert Freiheit“, das erste mal an diesem Wochenende höre ich etwas von der gesellschaftlichen Funktion der Juristen. Wie die Gesamtheit der übrige Referenten verwahrt sich auch Frau Harms gegen das Bachelor-/ Mastersystem in der Juristenausbildung. „Man sagt Ihnen allen nicht die Wahrheit!“, es gäbe keine Nieschen auf dem Arbeitsmarkt für Bachelor-Juristen. Schon jetzt sei es um die Juristerei schlecht bestellt. Im öffentlichen Dienst herrscht Sparzwang und als Rechtsanwalt sieht man sich 150´000 Mitbewerbern gegenüber. Noch schlimmer sei die Konkurrenz von außerhalb. Positionen, die noch vor 40 Jahren Juristen vorbehalten gewesen seien, gehen heute an Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Journalisten. Journalisten, diese Leute mit dem „Viertel- und Halbwissen“ diese Geisteswissenschaftler mit „einem bisschen fortgebildetem Abitur und ohne festes Berufsbild“ (Monika Harms). Ihre Lösung für diese Probleme ist erschreckend simpel: man reduziert die Studentenzahlen, und bildet den Rest einfach besser aus.
Der zweite Juristenkaffee lässt mich zittrig werden. Was habe ich an diesen 48 Stunden auf der Bundesfachschaftstagung Jura erfahren? Sie trinken Kaffee, der an Körperverletzung grenzt. Selbst unter den als ehrgeizig geltenden Fachschaftlern trägt niemand den Kragen seines Hemdes nach oben geklappt. Die Mehrzahl ist von einem gewöhnlichen Studenten nicht zu unterscheiden. Einzig ihr Examens-Studiengang, der macht sie besonders.

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