Von der Besetzung des Leipziger Uni-Rektorats
Es riecht nach Bier und Füßen, sobald man aus dem Fahrstuhl tritt. Am Montag besetzten 100 Protestierende das Rektorat der Universität Leipzig. Sie haben das Gebäude übernommen. In einem der Vorzimmer hängt eine Sammlung ihrer Forderungen: „Bedingungsloses Grundeinkommen. Unbequemer werden. Mehr Musik.“
Über einen fleckigen, roten Teppich, vorbei an unzähligen Rucksäcken und verschobenen Möbeln gelangt man in den Saal des Plenums. Hier tagen sie, die BesetzerInnen – wie sie sich selbst nennen, um der Gleichberechtigung Geltung zu verschaffen. Studenten, Punks und Touristen. Das sind sie also diejenigen, die meinen für die Mehrheit der Leipziger Studenten zu sprechen. Eine vollkommen homogene Gruppe. Sie tragen Uniform vor lauter Individualität: die gleichen Schuhe, Pullover und Meinungen.
Die Diskussion ist in vollem Gange, es geht um eine Erklärung, die Rektor Häuser an diesem Dienstag Morgen übergeben hat. Man ist sich einig, dass seine knappe Antwort auf die Forderungen der Besetzer einen Affront bedeutet. Welche Forderungen das waren, scheint keiner mehr im Detail zu wissen. Wichtig ist im Moment nur, dass der Rektor damit nicht durchkommen darf!
Punks und Touristen
In einem der Vorzimmer packt Noel* seine Gitarre aus. Er ist Brite und arbeitet als Übersetzer in Deutschland – nebenbei besetzt er Universitäten. Als vor einiger Zeit das Seminargebäude in Leipzig bestreikt wurde, fand Noel eine Anzeige im Internet, auf einer Plattform die Übernachtungsmöglichkeiten anbietet. Neunundneunzig Betten hieß es, seien frei. Wenn die Studenten nicht zum Protest kommen, muss man eben kreativ werden.
Einer der Besetzer dekoriert soeben eine Leibniz-Büste mit einer großen, roten Samtkordel. Er ist barfuß, trägt ein Häkelmützchen und lange Unterhosen. Stolz berichtet er, wie sie gestern eine riesige Palme in den Fahrstuhl geschleift hätten. „Das ist doch Performance! Das ist doch Happening! Man muss die Leute zum nachdenken über diese Götzenbilder anregen.“ Ein anderer Besetzer mit Rastas und grünem Kapuzen-Pulli stell fest, dass die Nasenlöcher von Leibniz größer seien als die von Goethe.
Freiheit der Rede – aber in Maßen
Im Flur gibt es Cous-Cous und Linsen. Ich setze mich ins Plenum und lausche der Diskussion. Sechzig bis siebzig Leute drängen sich in diesem Raum. Man liegt, kniet, lungert auf dem Boden. Als Außenstehender ist es schwer den Vorgängen zu folgen. Die Besetzer“haben ihre eigene Sprachregelung, ihr eigenes Protokoll. Wenn man mit beiden Händen in Kopfhöhe wackelt, bedeutet das Zustimmung. Etwas mit beiden Händen vor der Brust wegzustoßen meint Ablehnung. Um einen Antrag zu stellen, muss man zwei Finger wie zum Schwur erheben.
Das Ganze erinnert an Parteitage. Nichts scheint wichtiger als das Protokoll. „Ich finde die Redekultur hier total uncool, “ beschwert sich einer der Studenten, während er sich etwas Gin mit Tonic in einen Becher füllt. „Wenn wir das nicht so machen, können wir es ganz lassen“, schießt er noch hinterher. Noch immer debattiert man über die Stellungnahme des Rektors vom Vormittag. „Wir halten es nicht mehr aus. Wir sind so wütend auf die Leute, wie die mit uns umgehen!“ wirft eine Studentin ins Plenum. „Mach einen Antrag daraus!“, entgegnet man ihr. Das war die inhaltliche Diskussion.
Sie nennen sich „Moderation“, doch letztlich sind sie es, die stets das Wort an sich reißen, die auf der strikten Einhaltung der Rednerliste beharren. Das also ist Basisdemokratie, ein halbes Dutzend Studenten mit offensichtlichem Geltungsdrang erlaubt anderen Leuten zu sprechen oder verbietet ihnen das Wort.
Protest ohne Standpunkt
Seit zwei Tagen hält man das Rektorat nun besetzt. Seit zwei Stunden lausche ich der Debatte. Sollte die „allgemeine inhaltliche Diskussion“ sich einmal nicht mit Formalitäten und Sprachregelungen befassen, versucht man eine Tagesordnung aufzustellen. Die versammelten Besetzer beschließen, erst darüber zu diskutieren, wie man bei einer Räumung durch die Polizei vorgehen will. Inhalte und Forderungen sollen im Anschluss folgen. Zwei Tage, und sie wissen noch immer nicht was sie wollen, nur dass sie wollen. Man überlegt, mit welchen Aktionen man die Öffentlichkeit erreichen könnte. Mehrere Ideen machen die Runde: Das Rektorat vollständig sperren, ein Ölgemälde verstecken oder gar eine Scheinentführungen zu inszenieren. Dazu brauche man mehr Besetzer, heißt es. Mehr Studenten müssten mobilisiert werden, mittels E-Mail-Verteilern oder Telefonketten. „Wir besetzen nicht um des Besetzens Willen“ wirft eine Studentin ein. Man winkt sie zur Ruhe. Die Redeliste ist bereits geschlossen, man ist schon bei der Sammlung der Anträge.
Als ich die Debattierenden verlasse, weiß ich noch immer nicht, was sie fordern. Sie haben das Rektorat besetzt, um wahrgenommen zu werden. Das ist ihnen gelungen. Nur ein Ziel, eine Botschaft, einen Idee, all das fehlt den Besetzern. Ich frage mich, wie soll man sich inhaltlich mit jemandem auseinandersetzen, der keinen Standpunkt vertritt?
Während im ersten Stock die Besetzer noch immer über die Tagesordnung streiten, sitzt am Eingangang des Rektorats der Pförtner in seiner kleinen Kammer. Was er von der Besetzung halte, wird er gefragt. „Den Hausfriedensbruch, den ihr hier veranstaltet, dass ist doch großer Quatsch! Das geht doch allen am Arsch vorbei. Der Rektor Häuser kann doch nix dafür. Wenn, dann ist da die Politik dran Schuld.“
*Name geändert
...und sowas kommt dabei raus, wenn ich gegen 2 Chefs-vom-Dienst und den Chefredakteur anschreibe. "Campus-Reporter", Ha! Weder bin ich "Reporter, noch für Campus!
Saturday, November 28, 2009
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