Sunday, March 22, 2009

Kiwi! - Tout est provisoire (5)

Die meisten Schöpfungen des Verstandes oder der Fantasie entschwinden für ewig nach einer Frist, die zwischen einer Stunde nach dem Essen und einer Generation variieren kann (Joseph Schumpeter).




Seit geraumer Zeit schon rotiert dieser Kurzfilm in meinem Kopf. Längst wäre er mir entschwunden, wenn es sich nicht um eine so klare und eindrucksvolle Allegorie auf das Leben handeln würde. Ich will das Ausgangsmaterial nicht verschandeln, nicht zerreden. Ich habe mir vorgenommen ehrlich zu sein.


Wir sehen einen Kiwi, ohne Flügel. Stattdessen behilft er sich mit Schnabel, Füßen und dem ganzen Körper. Das ganze wirkt, unterstrichen von der Musik, eher lustig. Vorbildlich wie der Kiwi seine Situation meistert, absolut angepasst. Er ist seinem Schicksal ergeben.
An sich ist er bloß lustig anzuschauen, aber wenn ich diesen Kurzfilm als Parabel verstehe, dann erscheint mir dieser erste Teil mit seinem Fatalismus unfrei und deprimierend.
Keine Musik. Unzählige Bäume an einer Felswand. Ein kleiner Kiwi mit Lederkappe lugt über die Kante und nimmt Anlauf. Er springt von der Klippe und rauscht an den Bäumen vorbei. Die Musik setzt wieder ein, diesmal aber mit einer Variation des bereits bekannten Themas: ein Glockenspiel in Moll.
Bild und Handlung erfahren einen Perspektivwechsel. Die Kamera dreht sich um neunzig Grad. Der Kiwi stürtzt sich keinen Abhang mehr hinab, er durchfliegt einen Wald. Er streckt er seine Stummelflügel aus, und beginnt damit zu schlagen. Man weiß nicht, ob es der Wind ist, der ihm entgegen schlägt, oder die Emotionalität dieses Augenblicks: seine Lider zucken. Er schließt die Augen, schlägt mit den Flügeln, eine Träne rinnt ihm übers Gesicht.
Egal wie oft ich mir diese Szene angeschaut habe, es hat mich immer wieder aufs neue ergriffen. Ich meine, das ist bloß ne alberne Animation, aber dieser Augenblick ist so schön, so wahr, unverfälscht und rein, dem kann man sich nicht verschließen.
Dieser kleine Kiwi wünscht nichts sehnlicher als über die Wipfel der Bäume hinweg zu fliegen. Der ganze Aufwand nur für diesen einen, einzigen Flug, nur für diesen einen Augenblick, für den absoluten Höhepunkt. Wie dieses Faust-Zitat. Als ich den Film zum ersten mal gesehen habe, empfand ich das als unerträglich emotional. Wie froh war ich, als der kleine Kiwi in den Wolken verschwand, und ich den Aufschlag hörte. Dieses Geräusch entkitscht die Sache ungemein, so kann man(n) das auch gut finden.
Nur auf den ersten Blick scheint das Ende traurig: der Kiwi nimmt sich das Leben. Dass er dabei stirbt, ist nicht essentiell. Er nimmt sich das Leben; nimmt sich, was das Leben ihm vorenthalten hat. Er stürzt sich hinein. All sein Streben, die Gesamtheit seiner Existenz erfüllt sich in diesem einen Flug über die Bäume. Bar jeder Konvention tut er, was er tun muss. Intensiver kann man gar nicht leben. Dem Fatalismus des ersten Teil tritt der Kiwi entgegen, nimmt sein Schicksal selbst in die Hand. Keine Ergebenheit mehr irgendwelchen obskuren höheren Mächten, Werten und nie erreichbaren „Zielen“. Auf dem Höhepunkt ist er ausgestiegen, kein Leiden, bloßes Glück. Nur nach dem Absprung war er wirklich frei.

Für viele mag die Botschaft, die davon ausgeht, verheerend klingen: denn freier Wille, freie Entscheidungen und freie Menschen (oder Kiwis) lassen sich schlecht in das Korsett einer Gesellschaft zwängen.
„Man erträgt alles, und im übrigen hält man die Klappe!“ (D. Levy)
Sie stürzen sich auf das „Verwerfliche“ des Aufschlags und vergessen darüber den Flug. Man soll Bäume mit seinen Füßen festnageln, aber fliegen darf man nicht. Denn, dass eigene Leben gehört einem nicht: man schuldet seine Existenz einem Volk, einem Gott oder einem umlagefinanzierten Rentensystem. Erbärmlich – aber frei von Erbarmen. Eiskalt entmündigt – von sämtlichen philosophischen Schulen. Von Platon und Pythagoras über Hegel und Kant bis zu den Weltreligionen (den Hinduismus ausgenommen): alle sprechen sie sich gegen den Freitod aus:
Du sollst nicht rauchen, davon kriegst du Krebs.
Du sollst nicht trinken, davon wird deine Leber schwammig.
Du sollst kein Heroin nehmen, weil das schlecht ist.
Du sollst nicht fliegen, weil du nicht darfst!

Freiheit ja, aber doch bitte schön angepasst.

Mir fiel noch eine weitere Interpretation ein, eher auf der Metaebene angesiedelt. Diese meinte ich, als ich zu Beginn von einer Allegorie auf das Leben sprach, klingt aber ziemlich fatalistisch.
Wie auch bei dem Trailer, geht es in diesem Film um einen Fall. Den Sturz als Parabel auf das Leben. Man wird hineingeworfen. Fliegt, fliegt, fliegt. Irgendwann sieht man den Boden, der auf einen zurauscht. Naja, bis hierher lief´s ja noch ganz gut. Letztlich hat man nicht die geringste Möglichkeit Einfluss zu nehmen. Ob nun 20 Sekunden oder 80 Jahre - vollkommen gleich. Man hat keine Chance, also nutz...

Mit jedem Tag geht ein Stück von deiner Seele weg.
Und jeden Tag wirste schlechter.
Jeden Tag ´n Stückchen mehr
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