Eine mir vertraute Verlagsgruppe streicht zur Zeit die Printredaktionen ihrer Blätter zusammen. So soll der überregionale Politikteil demnächst nur noch von einem Berliner Newsdesk mit 22 Redakteuren bestückt werden – für sämtliche Ausgaben, egal ob aus Niedersachsen oder Thüringen. Auch wenn Redakteursstellen wegfallen, die Ursache des Sparzwanges liegt auf der Einnahmen- nicht der Ausgabenseite.
Journalismus rechnet sich nicht. Man könnte auch sagen: die Verlage verfügen über kein tragfähiges Geschäftsmodell. So kostet die Süddeutsche Zeitung am Kiosk zwei Euro. Davon werden bezahlt: der Zeitungshändler, der Grossovertrieb, der Versand, die Druckerei, und die, die in Sibirien die Bäume umhauen. Diese zwei Euro decken einzig und allein die Kosten des Mediums „Zeitung“, nicht die des Inhalts „Journalismus“. Dieser wird ausschließlich durch Anzeigen der Werbekunden finanziert. Das war schon immer so (daher lautet auch der Name von so manchem Blättchen „Anzeiger“). Der Werbekunde will Aufmerksamkeit für sein Produkt, wir bieten ihm mittels Nachrichten ein entsprechendes Umfeld, welches den Leser geradezu ködert.
Sinkende Auflagen und Streichkonzerte in Krisenzeiten
Nun sinken die Auflagen der Printtitel kontinuierlich:
Verkaufte Auflage:Die Auflage schrumpft, damit sinkt auch die Reichweite für die Werbekunden und demzufolge auch die Erlöse aus dem Anzeigenverkauf.
Süddeutsche (Mo.-Fr.): 3/01: 418.108, 3/11: 397.892 (-4,84%)
FAZ (Mo.-Fr.): 3/01: 405.617 ,3/11: 360.477 (-11,08%)
Rheinische Post (Mo.-Fr., gesamt): 3/01: 474.513, 3/11: 342.923 (-17,44%)
Hinzu kommt, dass in Krisenzeiten die Budgets für Werbung sinken (obwohl Studien zeigen, dass dies kontraproduktiv ist. Aber das ist Marketing...). In den vergangenen zehn Jahren folgten zwei Krisen beinahe nahtlos aufeinader. In den Verlagen regierte der Rotstift. Redaktionen wurden verkleinert oder zusammengelegt. Titel eingedampft. Die einst stolze Frankfurter Rundschau ist nunmehr nur noch ein Schatten ihrer selbst: Mitarbeiter wurden in nicht-tarifgebundene Zweckgesellschaften ausgelagert, andere Stellen wurden gestrichen und der überregionale Politikteil wird inzwischen von der „DuMont Redaktionsgemeinschaft“ aus Berlin zugeliefert.
Online gibt es nicht umsonst - Payed Content
Das alles ist nicht neu. Die Verlage versuchen mit allen Mittel Kosten zu sparen und in allen Bereichen mehr Einnahmen zu generieren. Sei es durch Online-Studienkurse wie bei der Zeit, „Premium“-Beilagen für Werbe-„Partner“ oder Payed-Content-Angebote im Online-Bereich. Rupert Murdoch versucht sich daran, die FTD, und nun auch die von mir eingangs erwähnte Verlagsgruppe.
Die wissenschaftliche Datenlage zu Payed-Content-Angeboten ist derzeit noch recht dünn. Ich kann daher nur meine eigenen Erfahrungen anführen. Da ich ziemlich durchschnittlich bin, schließe ich gern von meinem Verhalten auf das der breiten Masse. So steige ich bei Payed-Content-Angeboten nicht einmal mehr aus dem Text aus, ich lese ihn gar nicht erst. Nur um einen beliebigen Artikel zu rezipieren, ist der Aufwand schlicht zu groß, der Preis zu hoch. Die Schranken schrecken den Leser ab: eine Page-Impression weniger, wieder geringere Werbeeinnahmen. Kontraproduktiv in meinen Augen.
In der häufig kolportierten Gratis-Kultur des Internets lässt sich ein System wie das des Payed-Content nicht, oder nur gegen erheblichen Widerstand durchsetzen. Man muss daher bislang die Einnahmen – wie in der alten Zeit – durch den Verkauf von Anzeigen generieren. Was fehlt sind einfache, niedrigschwellige Angebote.
Wir kennen den Kunden, wenn nicht: Lernen wir ihn kennen!
Es ist kein Geheimnis: Verlage verkaufen die Daten ihrer Abonnement-Kunden. Zum Beispiel an Adress-Händler wie Schober. Die Verlagshäuser opponieren daher heftig gegen ein strengeres Datenschutz-Recht, würde dies doch weniger Einnahmen, wie auch weniger zielgerichtete Werbung für Abo-Kunden bedeuten. Die Daten, die man auf diesem Wege generiert sind Adressen und womöglich eine grobe sozio-kulturelle Verortung der Art: ließt die FAZ, ließt die taz, schaut sich die BILD an.
Hier liegt das Potential. Hier müssen die Verlage ansetzen. Schon im Printbereich zahlte der Leser nicht für den Artikel, er bezahlte das Papier. Die Kosten deckte der Anzeigenkunde, der wusste, wer ihn liest.
Diesem genügt es heute nicht mehr, bloß einen Platz neben den Artikeln zu bekommen. Er will, er muss wissen, dass sein Produkt von potenziellen Käufern wahrgenommen wird. Je genauer man ihm dies vermittel kann, desto eher lassen sich angemessene Preise für Anzeigen erzielen.
Beispiele aus anderen Bereichen – Payback, Gewinnspiele und BMX-Hefte
Wenn ich mein favorisiertes BMX-Magazin lese, dann sind die Texte eingebunden in – genau – Anzeigen von Nike, Eastpak und Carhartt. Wenn ich die FTD aufschlage, was sehe ich da: Santander, Targobank und Mercedes Benz. Bei der Zeit? Ganz klar: biologisch abbaubare Gleitcreme, Liszt-Gesamtausgaben und Anal-Destroyer. Als ob sich jemand etwas dabei gedacht hätte. Zielgruppenorientierte, Streuverluste minimierende Werbung.
Neulich suchte ich via Google nach Pulsuhren, und mit einem mal standen in den von mir rezipierten Onlinezeitungen Anzeigen zu Cardiogeräten, Lauftights und Sportunterwäsche. Diese Anzeigen wurden eingespeist durch Google AdSense. Das Programm nimmt Bezug auf meine persönliche Such-Historie und passt die Werbung an.
Einmal im Jahr veranstalten mir bekannte Fahrradzeitschriften eine große, als Gewinnspiel daherkommende, Umfrage. Man füllt einen postkartengroßen Fragebogen aus: Was für ein Rad fahren Sie? Wo haben Sie zuletzt Zubehör gekauft? etc..
Einen anderen Mehrwert in Form von Rabatt- oder Bonuskarten kann man in jedem Kaufhaus beobachten. Für den Gegenwert ominöser Punkte geben die Käufer nicht nur ihre persönlichen Daten preis, auch ihr Kaufverhalten lässt sich auswerten.
Diese Daten haben einen Wert für die Marketingabteilungen von Unternehmen. Mit diesen Daten lässt sich Geld verdienen. Man muss nur diese geschilderten Systeme zusammenführen und auf das Mediensystem anwenden.
Der Lösungsansatz
Der Leser möchte das Medium weiterhin kostenlos und ohne Einschränkungen rezipieren. Die Werbekunden möchten ihr Produkt zielsicher an den Mann bringen. Die Verlage müssen ihre Redaktionen bezahlen. Statt Geld für journalistische Angebote zu verlangen, bittet man den Leser um erweiterte Nutzerdaten, stell dieses ausgwertet als Mehrwert den Anzeigenkunden zur Verfügung, so dass diese zielgerichtet Werbung schalten können.
In der Praxis könnte sich ein solches System folgendermaßen gestalten: statt den Leser vor eine Bezahlschranke zu stellen, wie bei Payed Content, muss er einen Fragebogen beantworten, bevor er auf sogenannte „Premium-Artikel“ (FTD) zugreifen kann. Damit das Angebot niedrigschwellig bleibt und sich der Aufwand in Grenzen hält, würde sich in diesem Kontext eine Abo-Lösung anbieten. Einmal im Quartal nimmt der Leser an einer solchen Umfrage teil und kann dafür weiterhin kostenlos Zeitung lesen.
Diese Daten werden gesammelt, anonymisiert und ausgewertet um sie anschließend den Werbekunden zur Verfügung zu stellen. Diese können somit ihre Marketingkonzepte besser auf die Zielgruppe ausrichten.
Wirklich rund wird dieses Konzept erst, wenn man die Anzeigenflächen nicht mehr via Google-AdSense vertreibt sondern konsequent selber bestückt. So ließen sich für jeden Leser auf dessen Interessen angepasste Anzeigen einspeisen.
Für den Leser bleibt es weiterhin kostenlos, die Anzeigenkunden erhalten einen Mehrwert und die Verlage lassen sich diesen vergüten. Eine Win-Win-Win-Situation.
Kritik – Wunder Punkt Datenschutz
Der wunde Punkt bei dem von mir vorgeschlagenen System ist der Datenschutz. Die Daten sind Eigentum des Lesers. Er entscheidet, was mit diesen geschieht. Doch kann man ihn vor die Wahl stellen: entweder mit Kreditkarte, oder mit personenbezogenen Daten zu zahlen. Die erhobenen Daten umgehend sollten umgehen verschlüsselt werden. Die Werbekunden erhielten nur eine Auswertung der anonymisierten Kundendaten. (Schon diese Maßnahmen gehen weiter als es zum Beispiel bei Payback der Fall ist.) Auch die personalisierte Werbung lässt sich mittels entsprechender Software-Lösungen datenschutztechnisch sicher gestalten.
Diese Maßnahmen bedeuten einen gewissen Aufwand, doch will man für Akzeptanz beim Leser sorgen, muss man diese Bedenken ernst nehmen. Wenn man heute ein Abo abschließt muss man sein Einverständnis erklären, dass einem Werbung zugeschickt werden darf. Der hier beschriebene Ansatz ist nichts anderes als ein erweitertes Opt-In-Verfahren. Gegen etwaige Vorbehalte hilft nur Transparenz. Man muss dem Leser klar machen, dass seine Daten weiterverwandt werden, dass dies aber auch für ihn sicher geschieht. Im Gegenzug kann er weiterhin sämtliche Online-Angebote kostenfrei nutzen.
Nichts ist umsonst – aber es kann durchaus kostenlos sein.
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